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Berliner Arzt schweigt im Mord-Prozess: Wollte er Herr über Leben und Tod sein?

Prozessbeginn gegen den Berliner Arzt, der 15 Menschen ermordet haben soll. Am Ende gibt es eine Überraschung im Saal. BERLIN LIVE war dabei.

© BERLIN LIVE/Sarah Fernàndez

Berliner Häftlinge spielen Shakespeare

Bereits die meterlange Schlange vor dem Kriminalgericht in Berlin-Moabit kündigt schon vor dem Gebäude an, was an diesem Morgen hier stattfinden wird: ein aufsehenerregender Prozess. Denn an diesem Montag (14. Juli) steht der 40-jährige Arzt Johannes M. erstmals vor Gericht. Insgesamt 96 Menschen soll er getötet haben – die Ermittlungen laufen weiter. Bei diesem Prozess werden 15 Fälle verhandelt.

Kein Platz ist mehr frei im Zuschauerraum des Saals 700 im Berliner Kriminalgericht. Die allermeisten scheinen hier Angehörige der Verstorbenen zu sein. Den Schmerz sieht man vielen von ihnen im Gesicht an – einige weinen. Auch den drei Anwesenden der insgesamt dreizehn Nebenkläger in diesem mehrfachen Mordprozess steht das Leid ins Gesicht geschrieben. Dann beginnt der Staatsanwalt die Anklageschrift vorzulesen und enthüllt die schrecklichen Details der mutmaßlichen Taten des Berliner Arztes.

Berlin: 15 Tote und unzählige leidende Hinterbliebene

15 mutmaßliche Morde – 15 Namen und ihre letzten Minuten werden einzeln über 20 Minuten lang vorgetragen. Der erste Fall ist der einer 25-jährigen Frau. Ihre Mutter sitzt neben ihrem Verteidiger auf der Nebenklagebank an diesem Morgen in Berlin und weint. Ihr Anwalt tröstet sie – als der Name ihrer verstorbenen Tochter genannt wird, vergräbt die Frau aus Guinea ihr Gesicht in den Armen. Von draußen scheint die Sonne in den Gerichtssaal, doch das nimmt hier niemand wahr. Alle hören gebannt dem Staatsanwalt zu – auch der mutmaßliche Mörder.


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Er sitzt hinter Glas auf der gesicherten Anklagebank, vor ihm seine drei Verteidiger. Als die Richterin ihn nach seiner letzten gemeldeten Adresse fragt, nennt er die exakte Anschrift der JVA Moabit, in der er seit August letzten Jahres in Untersuchungshaft sitzt.

Immer wieder schaut er auf, während der Staatsanwalt die schweren Vorwürfe gegen ihn vorliest. Schaut der weinenden Mutter direkt ins Gesicht, schaut sich das Publikum im Saal an. Zwischendurch macht er sich Notizen. Bei den Beschreibungen der angeklagten Morde sind in seinem Gesicht keine Gefühlsregungen zu erkennen. Was in seinem Inneren vor sich geht, weiß nur er selbst.

Credit: BERLIN LIVE/Sarah Fernàndez

In den meisten Fällen waren die schwerstkranken Patienten alleine zu Hause. Johannes M. wird vorgeworfen, seinen Patienten ein Betäubungsmittel – ein Narkose-Einleitungsmittel – verabreicht haben, um ihnen dann im Anschluss ein Muskelrelaxans zu verabreichen. Das habe zur Lähmung der Atmung geführt – binnen weniger Minuten seien sie daran verstorben. Die Mordmerkmale: Heimtücke und niedrige Beweggründe. In der Anklageschrift heißt es, er habe Herr sein wollen „über Leben und Tod“.

Staatsanwalt enthüllt grausame Details

M. seit teils unangekündigt in die Wohnungen der Verstorbenen gekommen und habe sie dort getötet. In einem der hier vorgetragenen Fälle habe er noch in der Wohnung selbst einen Totenschein ausgestellt. Todesursache: „Natürlicher Tod.“ In einem anderen Fall sei er mit einer der späteren Zeuginnen via Facetime verbunden gewesen.


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Am Ende der Anklage richtet die Vorsitzende Richterin das Wort wieder an den Berliner Arzt. Er lässt über seinen Anwalt ausrichten, dass er „keine Erklärung“ abgeben werde. Der Auftakt dieses Prozesses ist damit zu Ende. Aber noch nicht ganz. Die Richterin bringt zum Schluss noch Organisatorisches zur Sprache – unter anderem einen Antrag der Schwester, dem Prozess gegen ihren angeklagten Bruder einmal beiwohnen zu dürfen. Dann die Überraschung!

Obwohl die Richterin ihr „davon abgeraten“ habe, meldet sich die junge Frau zur Verwunderung aller plötzlich aus dem Zuschauerraum. Sie saß die ganze Zeit über in der Menge zwischen den Angehörigen der Verstorbenen. Als der Prozess offiziell beendet ist und die Menschen den Saal verlassen, steht sie noch eine Weile hinter dem Geländer des Zuschauerraums und blickt sie zu ihrem Bruder. In ihren Augen zeichnen sich Tränen ab.