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True Crime Berlin: Der S-Bahn-Mörder Paul Ogorzow

Der Berliner S-Bahn-Mörder ist nach langem Rätseln gefasst! Em Ende gibt er einen unfassbaren „Grund“ für seine schrecklichen Taten an.

© Polizeihistorische Sammlung, Berlin

True Crime Berlin: Der S-Bahn-Mörder – größter Kriminalfall der NS-Zeit

Seit September 1940 sorgt ein Mann für Angst und Schrecken bei den Frauen, die mit der S-Bahnlinie S3 zwischen Berlin und Erkner unterwegs sind – alles dazu liest du im ersten Teil der Serie. In den Laubenkolonien nahe dem Betriebsbahnhof Rummelsburg in Karlshorst (Berlin-Lichtenberg) geschehen bereits seit 1936 immer wieder Verbrechen. Getarnt in der Dunkelheit überfällt ein Täter Frauen, indem er aus dem Gebüsch springt oder sie zuerst mit einer Taschenlampe blendet, bevor er sie angreift und in den meisten Fällen vergewaltigt.

Im Spätsommer 1940 kommen die Morde und Mordversuche auf dem Gelände der S-Bahn hinzu. Das Jahr 1941 hat gerade erst begonnen – da zählt man hier bereits fünf ermordete Frauen, zwei Mordversuche und Dutzende Vergewaltigungen. Der letzte Mord ist am 29. Dezember geschehen. Die Berliner Kriminalpolizei hatte bereits zu außergewöhnlichen und drastischen Maßnahmen gegriffen. Nur eine Woche später – am 5. Januar – schlägt der gefürchtete Mörder erneut zu.

True Crime Berlin: Abstände zwischen den Taten werden kürzer

Auf der S-Bahnstrecke zwischen Karlshorst und Wuhlheide wird die schwerverletzte 26-jährige Hedwig Ebauer zwischen den Gleisen gefunden. Eine Obduktion ergibt schwere Verletzungen am Schädel und Würgemale am Hals. Sie war im sechsten Monat schwanger. Sie und ihr ungeborenes Kind überleben den Angriff nicht.

+++True Crime Berlin: Wie die Nazis Verbrechen vertuschten – und damit noch mehr schufen+++

Der leitende Kriminalkommissar Zach fordert den Polizeipräsidenten, die Öffentlichkeit von den Vorkommnissen in Kenntnis zu setzen. Zu seiner Enttäuschung werden nur 2.000 Flugblätter von der Gestapo genehmigt. Die Abstände zwischen den Taten werden immer kürzer. In seinem Bericht vom 26. Januar 1941 schreibt Zach: „Es wurde angeregt bei Gruppenführer Heydrich die Genehmigung für eine alle Fälle umfassende Pressenotiz, für Aussetzung einer hohen Belohnung, für Bekanntgabe der Verbrechen durch den Rundfunk, für Anfertigung von Plakaten und Laufzetteln einzuholen.“ Zwei Tage später der Vermerk: „Genehmigung für Pressenotiz nicht erteilt“.

Das damalige Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Bei den Berlinern unter dem Namen „Rote Burg“ oder auch nur „Burg“ bekannt. Foto: imago/Arkivi

Anfang 1941 wird ein Lotsendienst eingerichtet. Freiwillige NSDAP-Mitglieder begleiten Frauen die allein unterwegs sind durch die Dunkelheit. Wie man später weiß, meldet sich auch der Reichsbahner Paul Ogorzow am 11. Februar zu diesem Dienst. Am nächsten Morgen findet man die siebte Leiche. Dieses Mal ist es die ebenfalls schwangere Mutter zweier Kinder – Johanna Voigt. Sie liegt auf den Gleisen zwischen Rummelsburg und Karlshorst – auch sie trägt die Handschrift des S-Bahnmörders: schwere Verletzungen am Schädel.

Polizei hatte den Täter schon verhört

Nach dem Fall vom 11. Februar können die Nazis die Mordserie nicht mehr vertuschen! Goebbels genehmigt endlich die Öffentlichkeit zu informieren. 13.000 Reichsmark werden als Belohnung ausgeschrieben. Und doch wird es noch eine Weile dauern, bis man den S-Bahnmörder einen Namen geben kann.

Zwar gibt es seitdem keine neuen Toten zu beklagen. Doch man kommt trotz intensiver Fahndungen nicht weiter. Die Kommissare sind sich sicher: Der Täter weiß über die Schritte der Polizei Bescheid. Darum verkündet sie am 30. Juni offiziell, die Überwachung in den betroffenen S-Bahnzügen und Bahnhöfen einzustellen. Eine Finte, denn in Wahrheit gruppieren sie die Beamten nur um.

Paul Ogorzow ist Hilfsweichensteller bei der Reichsbahn, Vater, Ehemann und NSDAP-Mitglied – und der Berliner S-Bahn Mörder. Foto: Polizeihistorische Sammlung Berlin

Paul Ogorzow fällt bei der ersten allgemeinen Überprüfung der Reichsbahner nicht auf. Er ist 29 Jahre alt, Familienvater und Mitglied in der NSDAP. Ein netter Nachbar und freundlicher Mann – so wird er beschrieben. Die Polizei ermittelt zu diesem Zeitpunkt bereits seit Monaten – alle Maßnahmen sind ohne Erfolg. Es gibt keine Beweise gegen Ogorzow, befragte Kollegen und seine Frau schwärmen von ihm. Ein solcher Mann kann kein Frauenmörder sein – er selbst gibt an, damit nichts zu tun gehabt zu haben. Doch dann fällt er erneut auf. Ein Kollege berichtet, Ogorzow sei während seiner Dienstzeit über den Zaun geklettert und habe den Betriebsbahnhof Rummelsburg verlassen. Außerdem hatte er an drei der Tatnächten Dienst.

Sein letzter Mord

Wenige Tage später schlägt der Mörder ein letztes Mal zu, bevor die Polizei ihn endlich – nach fast einem Jahr des Mordens – dingfest machen kann. Am 3. Juli wird die 35-jährige Frieda Koziol tot aufgefunden. Sie wurde vergewaltigt und mit Schlägen auf den Kopf ermordet. Doch der Tatort befindet sich wider Erwarten nicht auf dem S-Bahngelände, sondern auf dem Laubengelände „Gut Land II“. Dort hatte er bereits im Oktober seinen ersten Mord begangen.

Ein Überblick der Fundorte der vom S-Bahn-Mörder getöteten Frauen. Foto: Redaktion

Paul Ogorzow hatte auch in dieser Julinacht Dienst. Nun glaubt man den Täter zu haben! Am 12. Juli wird er um 6.45 Uhr in seiner Wohnung in der Dorotheastraße 24 in Karlshorst abgeholt. Man steckt ihn ins Strafgefängnis Plötzensee in Untersuchungshaft – er schweigt. Eines seiner früheren Opfer identifiziert ihn bei einer Gegenüberstellung. Wie auch die seiner Kollegen war Ogorzows Kleidung untersucht worden. Treffer! An seinen Sachen befindet sich menschliches Blut. Nach mehreren Tagen des Verhörs legt Paul Ogorzow am 15. Juli 1941 sein Geständnis ab.

Ein unfassbarer Grund

Acht Morde, sechs Mordversuche und 32 Sittlichkeitsverbrechen gibt er zu, begangen zu haben. In der Polizeiakte notiert die Berliner Kriminalpolizei dazu: „Keine Anzeichen von Reue festzustellen“. Unter dem Titel „Mein Lebenslauf“ erklärt Ogorzow in einem Brief, Grund für seine Taten seien eine von einem jüdischen Arzt mit Absicht falsch kurierte Geschlechtskrankheit gewesen. Ein zutiefst antisemitischer „Grund“, den der bekennende Nationalsozialist hier nennt.


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Zum Schluss schreibt er: „Ich erkenne dies reuevoll an, dass ich es nicht tun durfte, aber es ist da in mir ein Trieb und bei der Tat eine plötzliche Umnachtung, wegen der nicht ausgeheilten Krankheit entstanden. Ich bitte um Unterbringung in einer Nervenanstalt.“ Ein zuständiger Gerichtsarzt kann „keinerlei Anhaltpunkte für eine Geisteskrankheit“ feststellen, wird in der finalen Polizeiakte abschließend vermerkt.

„Mitteilung des Abganges eines Gefangenen oder Verwahrten“ vom Strafgefängnis Plötzensee. Hier wurde er am 25. Juli 1941 hingerichtet. Foto: Polizeihistorische Sammlung Berlin

Das Berliner Landgericht macht kurzen Prozess. Der S-Bahn Mörder wird am 24. Juli „als Gewaltverbrecher und Volksschädling zum Tode verurteilt.“ Am nächsten Morgen um 6 Uhr früh stirbt Paul Ogorzow unter dem Fallbeil in der Strafanstalt Plötzensee. Es ist das Ende des größten Berliner Kriminalfalls seiner Zeit. Aber auch eine Geschichte über die eingeschränkte Polizeiarbeit in der nationalsozialistischen Diktatur und ein schreckliches Beispiel für die Ohnmacht einer unfreien Presse – und die daraus resultierenden Folgen für die Bevölkerung.


Verwendete Quelle: Phoenix-Dokumentation ‚Tatort Berlin – Der S-Bahn-Mörder von Rummelsburg‘ (Film von Gabi Schlag und Benno Wenz)