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Großes Theater in Berliner JVA: “Freiheit, die man verloren hat”

Die Berliner JVA Tegel stellt mit dem „aufBruch“-Team etwas Besonderes auf die Beine: Ein Theater mit Inhaftierten. BERLIN LIVE war vor Ort.

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© BERLIN LIVE

Berliner Häftlinge spielen Shakespeare

Shakespeare hinter Gittern? Was sich im ersten Moment ungewöhnlich anhört, wird in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel zur Realität: Das Gefangenentheater „aufBruch“ bringt seit mehr als 25 Jahren großes Theater auf die Bühne – und das zwischen Zelle und meterhohen Mauern mit Stacheldraht.

Nach „Goethes Faust“ und der „Dreigroschenoper“ steht 2025 Shakespeares Tragödie „Titus Andronicus“ in den Bearbeitungen von Dürrenmatt und Müller als Komödie auf dem Programm. Die Darsteller? Ein Ensemble aus 18 inhaftierten Männern unter der Leitung von Regisseur Peter Atanassow. BERLIN LIVE durfte bei den Proben kurz vor der Premiere einen Blick hinter die Kulissen werfen – emotionale Momente garantiert!

Berliner Häftlinge spielen Shakespeare

22. Mai 2025 – ein kühler Donnerstagnachmittag auf dem Innenhof einer stillgelegten Teilanstalt der Berliner JVA Tegel: Nach wochenlangem Einstudieren der Texte und dem Aufbau der Bühne stand an diesem Tag die Kostümprobe an. Erstmals bekamen sich die Schauspieler in ihren jeweiligen Outfits zu Gesicht. Während manch einer sich in ein Frauenkleid zwängen musste, kämpfte ein anderer mit seiner Bundeswehr-Uniform und ein Dritter kann sich das Lachen nicht verkneifen.

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Das diesjährige Theaterensemble besteht aus 18 Inhaftierten der JVA Berlin-Tegel. Credit: BERLIN LIVE

Die Atmosphäre könnte kaum ausgelassener sein. Und das ist es auch, was die teilnehmenden Insassen an diesem beeindruckenden „aufBruch“-Theaterprojekt besonders zu schätzen wissen. „Es ist die Energie, die Stimmung – die Leute haben Bock was zu machen“, verriet André, der in diesem Jahr zum ersten Mal als Schauspieler dabei ist, gegenüber BERLIN LIVE.

Bühne statt Zelle: Berliner JVA-Insassen kommen ins Schwärmen

Um ein Teil des Projekts zu sein, investieren die Männer bei täglichen Proben reichlich Zeit – verzichten dafür sogar auf die eine oder andere Freistunde zum Sport machen oder Besuch zu empfangen. Doch das sei es allemal wert. „Es ist ein Kontrast zum Hafthaus. Hier merkt man die Freiheit, die man verloren hat“, erläuterte André. Statt auf seine Zellenwand zu starren, genieße er bei den Proben vor allem die Natur und den freien Himmel über ihm – fernab vom Trubel und möglichem Alarm im Nebengebäude der Anstalt. Für ihn ein großer Ansporn, die aktuelle Situation so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

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H. Peter Maier C.d.F. nimmt bereits zum siebten Mal am Berliner Theaterprojekt teil. Credit: BERLIN LIVE

„In diesem Umfeld ist alles, was jenseits der Routine ist, einzigartig. Es ist einfach schön“, kam auch Hans Peter Maier im Gespräch mit unserer Redaktion über „aufBruch“ ins Schwärmen. Für ihn ist es bereits das siebte Jahr in Folge, dass er bei einem Theaterstück auf der JVA-Bühne steht. Mit einer Sache hat der seit rund 15 Jahren Inhaftierte aber trotz aller Erfahrung im Rampenlicht noch immer zu kämpfen: „Ich habe immer furchtbare Versagensängste. Hoffentlich bist du nicht schon zu alt, hoffentlich kannst du dir den Text merken und so weiter.“ Umso mehr freue es den inzwischen über 60-Jährigen, sich von der Energie seiner jüngeren Zellennachbarn anstecken zu lassen.

Für Theaterstück öffnet Berliner JVA ihre Tore

Zum Beispiel von Marco. In einem schwarzen Ledermantel steht er 2025 das zweite Jahr in Folge auf der Bühne: „Ich hab letztes Jahr eine Frau gespielt, deshalb bin ich diesmal ganz froh, dass ich mal einen Mann spiele.“ In verschiedene Rollen zu schlüpfen bereite ihm Spaß. Und auch wenn die Nerven kurz vor der Premiere nahezu blankliegen, könnte sich der Häftling keine bessere Truppe aus unterschiedlichsten Charakteren an seiner Seite vorstellen.

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Sven genießt bei den Proben vor allem, dass er fernab des Trubels im Hafthaus ist. Credit: BERLIN LIVE

Einer von ihnen ist auch Sven. Der zweifache Vater kann es ebenfalls kaum abwarten, geht täglich fleißig seine Texte durch: „Hier ist man für ein paar Stunden wo ganz anders.“ Zu einer der angekündigten Aufführungen will dann auch seine Vollzugshelferin als Zuschauerin vorbeikommen. In den Vorjahren erhielten die Schauspieler im Anschluss sogar Fan-Post und reichlich Lob seitens des Publikums. Eine Wertschätzung, die einiges bewirken kann.

Lob und Fan-Post nach herausragender Leistung im Rampenlicht

Doch es hagelt auch Kritik – meist fernab der Gefängnismauern. „Gibt viele, die kritisch reagiert haben. Die gesagt haben das hat doch mit Gefängnis oder mit einer Bestrafung nicht viel zu tun, wenn man so etwas angeboten bekommt“, verriet Sven. Doch ganz im Gegenteil: Er selbst finde das Projekt „sehr wohl sozial“ – nutze die Gelegenheit, nicht nur sein persönliches Verhalten im Umgang mit anderen zu bessern, sondern auch mit Konfliktsituationen souveräner umzugehen.


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Fortschritte, die man sich für ein harmonisches Miteinander in der Gesellschaft doch nur wünschen kann. Dass es sich bei den Schauspielern um inhaftierte Straftäter handelt und man sich zum Zeitpunkt der Aufführung im Innenhof einer JVA befindet, gerät schnell in Vergessenheit – stattdessen stehen viel mehr die Menschen und ihre schauspielerische Leistung im Mittelpunkt. Ein beachtliches Bühnenspektakel, das sich niemand entgehen lassen sollte.

Die Premiere des Freiluftgefangenentheater „aufBruch“ in der JVA Tegel (Seidelstraße 39, 13507 Berlin) findet am 3. Juni statt. Darauffolgende Aufführungen sind am 5., 6., 11., 12., 13., 17., 19., 20., 25., 26. und 27. Juni. Beginn ist jeweils um 17.30 Uhr – letzter Einlass ist um 17 Uhr. Tickets sind nur im Vorverkauf online unter shop.gefaengnistheater.de oder an der Kasse der Volksbühne erhältlich (18 Euro, ermäßigt 12 Euro).