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Berlin verzeichnet traurigen Rekord! Und es droht noch Schlimmeres – „Es ist ein Desaster“

So viele Drogentote wie noch nie! Im Gespräch mit BERLIN LIVE warnt Nina Pritszens, Chefin eines Suchthilfeträgers, vor noch Schlimmerem.

© Sarah Fernandez/BERLIN LIVE

Brennpunkt für Drogen und Delikte: das ist der Görlitzer Park in Berlin

Der Görlitzer Park ist eine beliebte Grünanlage im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Neben Liegewiesen bietet der Park auch zahlreiche Sport- und Spielplätze. Der Görlitzer Park sorgt aber auch immer wieder für Negativschlagzeilen. Die Grünanlage gilt seit Jahren als Brennpunkt von Drogenkriminalität, Diebstahl, Bedrohungen und weiteren Delikten.

294 Tote. 294 Menschen, die an diesem regnerischen Julitag in Berlin-Kreuzberg auf dem Oranienplatz beklagt werden – von denen, die sie kannten, aber auch von vielen, die sie nie kennenlernen durften. Es ist eine traurige Rekordzahl, die hier am 21. Juli – dem Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende – groß auf einem bunten Plakat zu lesen ist. So viele Menschen sind im vergangenen Jahr in Berlin aufgrund von Drogenkonsum verstorben.

BERLIN LIVE hat auf dieser Gedenkveranstaltung mit Nina Pritszens, der Geschäftsführerin von „Vista“, einem Berliner Suchthilfeträger, gesprochen.

So viele Drogentote wie noch nie in Berlin. Konsumieren auch immer mehr Menschen in der Hauptstadt?

„Wir haben in absoluten Zahlen die letzten Jahre keine Steigerung gesehen, aber tatsächlich ist Wohnungsnot ein großes Thema. Auf jeden Fall leben die Menschen prekärer“, berichtet Nina Pritszens. „Wir haben Menschen, die aus allen Bezügen fallen, die eigentlich Anspruch auf Transferleistungen haben, diese aber nicht beziehen. Die ihre Wohnung verlieren und dann obdachlos sind.“


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„Hier müssen wir als Hilfesystem flexibler werden. Wir brauchen eine bessere Vernetzung, um diese Menschen wieder in die Sicherungssysteme zu bekommen und ihnen wieder eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Damit sich in Berlin die Situation insgesamt wieder etwas entspannt, weil wir alle gemeinsam als Stadtgesellschaft dann in diesen Bedingungen zusammenleben“

Für Pritszens steht fest: „Wer auf der Straße lebt, braucht Drogen und Alkohol als Überlebensstrategie. Das würde keiner von uns durchhalten, ohne psychoaktive Substanzen.“

Welche Probleme oder Gefahren sehen sie auf uns zukommen?

„Wir haben ganz klar eine stärkere Ausbreitung des Crackkonsums. Auch in Berlin ist das inzwischen angekommen und ist im Stadtbild zu sehen. Es ist wirklich erschreckend, wie schnell die Verelendung der Betroffenen passiert, in welchen schlimmen Zuständen diese sind. Hier brauchen wir unbedingt andere Behandlungsmöglichkeiten. Es ist ein Desaster, dass wir nach 20 Jahren so blank dastehen.“

Was meinen sie damit?

„Die Möglichkeiten, die wir psychiatrisch, medizinisch, aber auch im Rahmen der sozialen Arbeit leisten können. Was mir ganz besonders große Sorgen macht, ist die Verbreitung synthetischer Opioide. Wir sehen, was in den USA und Kanada passiert, das ist ein weltweiter Drogenmarkt. Es ist geradezu naiv zu glauben, dass bei uns das kein Thema sein wird.

Nina Pritszens ist die Geschäftsführerin von „Vista“. Die Sozialarbeiterin weis, was die großen Probleme aktuell sind und welche Gefahren uns drohen. Credit: Sarah Fernandez/BERLIN LIVE

„Die Szene ist bereits in Berlin und Deutschland angekommen und hier ist es ganz wichtig, dass wir mehr Menschen in Substitution bringen, dass wir die Drogenkonsumräume ausbauen, dass das Drug-Checking wirklich flächendeckend ist und auch mehr Opiat-Gebraucher erreicht. Das müssen wir jetzt vorbereiten, damit wir tatsächlich vor die viel-besagte Welle kommen.“

Können wir uns das leisten?

„Klar ist: Jeder Drogentote ist einer zu viel. Als alternde Gesellschaft brauchen wir diese Menschen auch. Also müssen wir sie durch die riskante Phase ihres Konsums kriegen, weil wir sie als wertvolle Mitglieder dieser Gesellschaft brauchen. Wir müssen schauen, welche Maßnahmen sinnvoll bei illegalen Drogen sind und welche nicht. Auch bei anderen Drogen. Die meisten versterben nach wie vor an Alkohol. Das ist ein Thema, was viel zu kurz kommt. Es gibt viel zu tun und es gibt aber auch viel zu gewinnen. Viele dieser Menschen hätten wir retten können.“


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„Durch mehr Substitution und die Verbreitung von Naloxon. Das ist ein Opiat-Antagonist und als Nasenspray verfügbar. Einmal Nasenspray reicht und die Rezeptoren im Gehirn, wo die Opiate andocken, werden durch das Naloxon besetzt. Eine Überdosierung wird dadurch erst mal zurückgenommen, der Rettungsdienst hat mehr Zeit zu kommen.“

Und dann wäre da noch das Geld

„Wir machen uns für den nächsten Doppelhaushalt große Sorgen. Denn wir haben steigende Kosten, ohne dass es mehr Angebot gibt. Ich werde trotzdem die Gehälter erhöhen müssen, um das Personal zu halten. Dies würde bedeuteten, dass wir Sprechstunden streichen müssen. Und je nachdem, wie viel es ist, würde es auch die Schließung ganzer Standorte bedeuten. Und hier sind der Berliner Senat wie aber auch die Ministerien in anderen Bundesländern gefragt, die nötige Hilfe sicherzustellen.“

Der Konsum von Drogen ist enorm gefährlich, er kann abhängig machen und der Gesundheit massiv schaden. Wenn du für dich oder eine Person in deinem Umfeld Hilfe benötigst, wirst du unter anderem bei der Notfall-Hotline der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fündig: 01806 313031 (kostenpflichtig: 0,20 € pro Anruf aus dem Festnetz und aus dem Mobilfunknetz).